M. Auer u.a. (Hrsg.): Roman Settlements and the "Crisis" of the 3rd Century AD

Cover
Titel
Roman Settlements and the "Crisis" of the 3rd Century AD.


Herausgeber
Auer, Martin; Hinker, Christoph
Reihe
Ager Aguntinus
Erschienen
Wiesbaden 2021: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
216 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jochen Griesbach, Martin von Wagner Museum - Antikensammlung / Lehrstuhl für Klassische Archäologie, Universität Würzburg

Sollten noch Zweifel daran bestehen, dass Archäolog:innen und Althistoriker:innen die zeitliche Vermessung der Antike aus grundsätzlich verschiedenen Blickwinkeln betrachten, dann vermag der vorliegende Tagungsband diese endgültig zu zerstreuen. Obgleich der gemeinsame Fokus hier auf der offenbar noch immer nicht befriedigend beantworteten Frage nach einer „Krise“ als herausstechendem Merkmal des 3. Jhs. n.Chr. liegt, widmen sich die elf archäologischen Beiträge vor allem den längerfristigen Kontinuitäten bzw. Umbrüchen in den Befunden, während der einzige (rein) althistorische Beitrag kritisch die Voraussetzungen (allzu) präziser Datierungen im fraglichen Zeitraum revidiert. Da Letzterer zudem am Ende des Bandes platziert wurde, ist anzunehmen, dass er ganz bewusst als „Response“ auf die in der Regel mit eher groben Datierungskriterien operierenden Methoden der (Siedlungs-)Archäologie aufzufassen ist. Für diese Aufgabe haben die Herausgeber, Martin Auer und Christoph Hinker, keinen Geringeren als Karl Strobel gewinnen können, der schon mit seiner 1993 erschienenen Habilitationsschrift1 keinen Zweifel daran gelassen hat, dass er den bis dahin von der Forschung verwendeten Begriff der „Krise“ zur Beschreibung der historischen Transformationsprozesse im 3. Jh. n.Chr. für völlig ungeeignet hält. Bezeichnenderweise hat sich aber bislang kein alternativer Begriff durchsetzen können.

Wenn die Leser:innen von der Ergebnisvorlage des 4. Aguntum Workshop (15./16. Nov. 2018) eine scharf geführte Kontroverse über die Berechtigung des Krisenbegriffs erwarten, werden sie allerdings enttäuscht. Denn vermutlich nicht erst nach dem ursprünglichen Auftaktvortrag von Karl Strobel dürften alle Teilnehmer:innen bereits selbst zur Erkenntnis gelangt sein, dass weder von einem zeitlich punktuellen noch von einem räumlich allumfassenden Zusammenbruch der herkömmlichen Siedlungspraxis im 3. Jh. n.Chr. gesprochen werden kann. Vielmehr ist den archäologischen Beiträgen sogar sehr deutlich zu entnehmen, dass sich die Forschung von den früher gängigen – nicht zuletzt von den literarischen Quellen des 3. und 4. Jhs. n.Chr. herrührenden – negativen Bewertungen der Veränderungen, die dem Begriff der „Krise“ zugrunde lagen, inzwischen weitgehend verabschiedet hat. Widersprüche ergeben sich daher eher in Einzelfragen; wenn etwa Sarah Beal an der traditionellen Einschätzung des Herulereinfalls festhält, während Karl Strobel dessen Relevanz (für Athen) grundsätzlich in Frage stellt, oder wenn Ralf Grüßinger und Alice Willmitzer das spätantike Kastell innerhalb der Colonia Ulpia Traiana mit der von Ammianus Marcellinus überlieferten Ortsbezeichnung Tricensimae in Verbindung bringen, wohingegen Karl Strobel dieser Namensübertragung von der 30. Legion vehement widerspricht, da er Letztere dauerhaft mit dem nahen Lagerstandort Vetera II verbunden sieht.

Die übergreifende Frage muss indessen lauten, welche weiterführenden Erkenntnisse sich aus der Tagung für die Einschätzung der „Krise des 3. Jahrhunderts“ gewinnen lassen. Bei der Zusammenstellung der Beiträge haben die Herausgeber – ausgehend von ihrem eigenen Forschungsgegenstand Aguntum – offensichtlich eine mehrgleisige Strategie verfolgt: Zum einen wurde auf eine geographisch breite Streuung Wert gelegt mit Beispielen aus verschiedenen Provinzen des römischen Reiches (Achaea, Pannonia, Noricum, Raetia, Germania inferior und superior, Gallia Belgica, Hispania Tarraconensis) sowie aus Norditalien (Brixia, Iulia Concordia, Littamum). Zum anderen wurde auf eine gewisse Verdichtung der Befunde im Alpenraum und den unmittelbar angrenzenden Gebieten geachtet, um potenziell regionale Gemeinsamkeiten herausfiltern zu können. Quer zu diesem Ansatz bewegt sich außer dem kritischen Rundumschlag von Karl Strobel, der vor allem die Rheinprovinzen und den Osten (Griechenland bis Syrien) näher beleuchtet, der einzige religionsgeschichtliche Beitrag von Markus Handy, der dem Kult des Iuppiter Dolichenus gewidmet ist und neben dem namengebenden Heiligtum in Doliche hauptsächlich Kultstätten des Balkangebiets, vereinzelt aber auch darüber hinaus, berücksichtigt.

Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass es dem Konzept der Tagung wie ihrer Publikation an wünschenswerter Stringenz mangelt, ein Umstand, der sich nicht zuletzt in der eher dürftigen Auseinandersetzung des kurzen Vorwortes mit der seit mindestens drei Jahrzehnten anhaltenden Forschungsdiskussion widerspiegelt.2 Denn die Auswahl der Beispiele richtet sich nicht danach, möglichst aussagekräftige Befunde zu sammeln oder eine größere Region flächendeckend in den Blick zu nehmen, sondern ist mangels Vorgaben zum Radius der Untersuchungen lediglich darauf angelegt, welche Aussagen rezente oder auch schon weiter zurückliegende Ausgrabungs- und Survey-Projekte innerhalb des jeweils gewählten Areals bezüglich der Siedlungsdynamik im 3. Jh. n.Chr. erlauben. Der Ertrag fällt dabei erwartbar sehr heterogen aus, weshalb wohl der Versuch einer veritablen Zusammenführung der Ergebnisse auch gar nicht erst unternommen wurde. Im Folgenden seien die einzelnen Beiträge gewürdigt, um abschließend die verallgemeinerbaren Aussagen zusammenzufassen.

Luca Arioli und Andrea Breda verknüpfen ihre Studie zur Stadtentwicklung von Brescia mit zwei größeren Ausschnitten des Umlandes in der Poebene und am Gardasee. Der Stadt bescheinigen sie – trotz möglicher Indizien für intramurale Bestattungen mit Münzbeigaben der 2. Hälfte des 3. Jhs. n.Chr. – eine ungebrochene Vitalität bis ins 5. Jh. n.Chr., wobei sie aus einer auffälligen Menge an Antonianen und einer Handvoll einschlägiger Fibeln auf eine verstärkte (dauerhafte?) Militärpräsenz schließen, die sie mit den Invasionen im Norden in Verbindung bringen. Den deutlichen Rückgang an ländlichen Siedlungsplätzen im 3. Jh. n.Chr. deuten sie als Anzeichen einer gewissen Verarmung, während die repräsentativen Villen – insbesondere am Gardasee – zum Teil bis ins 4. Jh. n.Chr. oder sogar länger fortbestehen. Die Auflassung der Villa Grotte di Catullo zugunsten von Soldatengräbern scheint dabei den Bedarf nach einer stärkeren Absicherung der „Einfalltore“ nach Italien zu bestätigen. Das Bild, das Marta Bottos und Giovanni Tasca für das Umland von Iulia Concordia und insbesondere für die Villa von Gorgaz ermittelt haben, sieht im Grunde sehr ähnlich aus.

Sarah Beal legt den Fokus ihrer Analyse auf die Wohnbauten in nächster Nähe zur Athener Agora. Den sieben berücksichtigten Befunden bescheinigt sie Zerstörungsschichten, die sie allesamt im Kontext des Herulereinfalls verortet, obgleich die Datierungen mehrfach nur vage auf das mittlere 3. Jh. n.Chr. festgelegt werden können. Im weiteren Verlauf der Geschichte erfahren diese Gebäude sehr unterschiedliche Schicksale, die von der endgültigen Aufgabe über die notdürftige Renovierung mittels Spolienmaterial bis zum nachträglichen Wiederaufbau (oder zur Überbauung) mit herkömmlicher oder neuer Funktion reichen. Beal geht hier von individuellen Entscheidungen je nach psychologischer Befindlichkeit und Vermögensverhältnissen der Besitzer aus, wobei sie die Lage der Häuser außerhalb der „Post-Herulian Wall“ mal für ausschlaggebend hält (s. Haus E), mal nicht.

Eine ungewöhnliche Fülle präziser Daten bietet der Vicus von Tasgetium westlich der Bodenseemündung an einem wichtigen Brückenübergang über den Rhein, da hier in großer Dichte dendrochronologisch bestimmbares Material entdeckt wurde. Die Auswertung der Holzproben deutet auf ein Ende der Bauaktivitäten um 250 n.Chr., während die Errichtung des benachbarten Kastells (mit neuem Brückenkopf) dank einer Bauinschrift auf das Jahr 294 n.Chr. festgelegt werden kann. Nach Simone Benguerel sind die Anzeichen von Aktivitäten im Vicus, die bis ins 4. Jh. n.Chr. fortdauern, lediglich der materiellen Ausbeutung der Siedlungsreste geschuldet und widersprechen der Annahme einer fluchtartigen Aufgabe angesichts drohender Invasionen. Aber wohin sind die übrigen Bewohner:innen abgewandert? Im Vicus von Littamum deuten die jüngsten Notgrabungen auf eine längere Siedlungskontinuität, die weit bis ins 4. Jh. n.Chr. reicht. Eine ökonomische Schwerpunktverlagerung von residentiellem Komfort hin zu stärker produzierenden Anteilen sowie von der Stein- zur Holzbauweise scheint sich dabei stufenweise vom 3. bis ins 4. Jh. n.Chr. zu vollziehen, wenn die sehr ausschnitthaften Grabungsergebnisse von Giulia Somma, Christoph Faller und Hubert Steiner eine solche Lesart überhaupt zulassen.

Trotz grundsätzlich anderer Voraussetzungen scheint die Situation in der niederrheinischen Colonia Ulpia Traiana vergleichbar wie in Tasgetium gelagert, wie die Ausführungen von Ralf Grüßinger und Alice Willmitzer nahelegen: Urbanistisch konstruktive Aktivitäten enden in severischer Zeit; die Aufgabe von einzelnen öffentlichen Bauten und Wohngebäuden erfolgt sukzessive, sodass die konkreten Auswirkungen der überlieferten Frankeneinfälle spekulativ bleiben; ein Kastell tritt schließlich um die Wende zum 4. Jh. n.Chr. an die Stelle des Stadtzentrums. Unklar bleiben vorerst die Umstände, die im 3. Jh. n.Chr. zu einer fortifikatorischen Abtrennung des sog. Südquartiers geführt haben. In der Zivilsiedlung am Legionsstandort von Vindobona scheint der Schrumpfungsprozess bereits im späten 2. Jh. n.Chr. einzusetzen und laut Ingrid Mader und Sabine Jäger-Wersonig mit einer Reduktion der Truppenkontingente zusammenzuhängen. Während das Fundmaterial bis ins 4. Jh. n.Chr. datiert, gibt es nach dem 1. Drittel des 3. Jhs. n.Chr. keine konstruktiven Maßnahmen mehr zu verzeichnen; und selbst aus den nach und nach in die ehemaligen Siedlungsbereiche vordringenden Gräberarealen gibt es bis dato keine später datierenden Beigaben.

Auch für viele Städte mittlerer und kleiner Größenordnung auf der Iberischen Halbinsel, aber insbesondere in der Tarraconensis, muss die „Krise“ nach Javier Andreu Pintado bereits in der 2. Hälfte des 2. Jhs. n.Chr. angesetzt werden. Ohne den Siedlungsbefunden eingehend Aufmerksamkeit zu schenken, vermutet er die Ursachen dafür vor allem in einer finanziellen Überlastung der munizipalen Kassen bzw. der lokalen Eliten und sogar in kaiserlichen Restriktionen – Thesen, die nicht ganz frei von aktuellen politischen Bezügen erscheinen. Mit Blick auf die blühende Villeggiatur des 3. und 4. Jhs. n.Chr. und das beachtliche Fortleben vieler hispanischer Städte in der Spätantike greift diese Erklärung in meinen Augen zu kurz.

Der Beitrag zu Iuvavum und seinem Umland nähert sich der Überlieferung von zwei Seiten. Ursula Schachinger vertritt in einem breit angelegten Vergleich der Münzfunde die Ansicht, dass eklatante Fundlücken zwischen 230 und 280 n.Chr. zugunsten des herkömmlich postulierten Krisenszenarios sprechen, und erkennt dabei ähnliche Gegebenheiten wie in Rätien, insbesondere an den Kastellstandorten entlang des östlichen Limesverlaufs. Die von Raimund Kastler und Felix Lang komplementär beleuchteten archäologischen Befunde sind auch nach eigenem Bekunden nicht aussagekräftig genug, um über das allgemeine „Bild unsicherer Zeiten“ (S. 161) und einer Epoche der Brüche substanziell hinauszugelangen.

Eine vorbildlich umfassende wie abwägende Analyse liefert dagegen Antonin Nüsslein für die Großregion Elsass-Lothringen. Daten aus verschiedenen Surveys sowie 25 Ausgrabungen bestätigen hier einen starken Rückgang in der Anzahl der Siedlungen im 3. und 4. Jh. n.Chr., der aber schon im 2. Jh. n.Chr. begann und nicht impliziert, dass in der Spätantike keine neuen Siedlungen mehr entstanden. Auch in dieser Region sind es eher die großen Städte und Villenanlagen, die länger existierten, aber zugleich Veränderungen in der Morphologie und in der Wirtschaftsweise unterlagen, wie es alternativ auch zu Agglomerationen vieler kleiner Siedlungsplätze kommen konnte. Der zu beobachtende Transformationsprozess vollzog sich ungleichzeitig und je nach den äußeren Rahmenbedingungen auch räumlich diversifiziert: Während z.B. im Saarland im 3. Jh. n.Chr. eine Verwaldung einsetzte, kam es in den Vogesen am Ende des 3. Jhs. n.Chr. vermehrt zur Errichtung von Kleinkastellen. Nüsslein gelangt m. E. zutreffend zu dem Ergebnis, dass der Output der Veränderungen zwar tiefgreifend und nachhaltig war, aber nicht zwangsläufig ein Ende von Traditionen bedeutete.

Patrick Marko orientiert sich in seiner Studie zu Flavia Solva und den ländlichen Siedlungen seines Territoriums an dem breit gefächerten Datenmodell von Nüsslein, auch wenn die Daten hier nicht denselben Umfang und nicht dieselbe Qualität aufweisen können. Für das municipium ist demnach ein Fortbestand bis in die Zeit um 400 n.Chr. anzunehmen, während die sekundären Siedlungen in der Umgebung nach den Funden zu urteilen von sehr unterschiedlicher Lebensdauer (3.–5. Jh. n.Chr.) zu sein scheinen; die berüchtigten Markomanneneinfälle haben dabei offensichtlich keine nennenswerten Folgen gehabt. Noch breiter ist das Spektrum bei den Villen – von 50 identifizierten Siedlungen dieser Kategorie werden nur die 15 ausgegrabenen Fundplätze berücksichtigt –, das vom 2. bis zum 6. Jh. n.Chr. reicht; auch hier mit Indizien für starke Veränderungen in Lebensweise und Produktion.

Markus Handy wendet sich in seiner Untersuchung zur Verehrung des „orientalischen“ Iuppiter Dolichenus gegen ältere Thesen der Forschung, dass die Zerstörung von Heiligtümern unter Maximinus Thrax oder gar des namengebenden Kultorts in Kleinasien den Glauben an die Macht des Gottes nachhaltig erschüttert hätten. Abgesehen davon, dass der wesentlich von Militärs getragene Kult auch im 4. Jh. n.Chr. noch nachweisbar ist, sieht er seine nachlassende Bedeutung im Zusammenhang mit allgemeinen restaurativen Tendenzen in der römischen Religion, die dem kapitolinischen Iuppiter Optimus Maximus bereits im 3. Jh. n.Chr. ein Comeback bescherten. Leider geht Handy den sozialgeschichtlichen Aspekten dabei nicht weiter nach. Das Ende vieler Kultstätten des Dolichenus im 3. Jh. n.Chr. scheint jedenfalls meistens eher äußerliche Ursachen zu haben.

Im abschließenden Beitrag macht Karl Strobel noch einmal deutlich, dass dem Bild von der „Krise des 3. Jahrhunderts“ als zutreffender Kern nur die vorübergehende Instabilität der Kaiserfolge zugrunde liegt. In fünf Kapiteln räumt er minutiös mit fehlerhaften Datierungen der archäologischen Forschung auf, die aufgrund der Sehnsucht nach chronologischen Fixpunkten allzu häufig Zirkelschlüssen erlegen ist. Mit Blick auf die vorschnelle Einschätzung von Hortfunden geht er in Kapitel 2 detailliert auf die Hintergründe und das Kalkül der Münzreformen von ca. 250 bis 350 n.Chr. ein. In den Kapiteln 3 und 4 wendet sich Strobel vor allem gegen die Frühdatierung zahlreicher Stadtmauern und anderer Wehrbauten (im Osten), die nach seiner Ansicht nicht als Reaktionen auf Invasionen des 3. Jhs. n.Chr. zu werten, sondern im Hinblick auf ihre fortifikatorisch unzureichende Bauweise häufig dem repräsentativen Bedürfnis spätantiker Stadtprospekte zuzurechnen sind. Anstelle der reflexartigen Verknüpfung von Zerstörungsbefunden mit bekannten militärischen Konflikten sieht er – insbesondere beim Einsatz von Spolien – die literarisch gleichfalls häufig bezeugten Erdbeben als überzeugendere Ursachen. Freilich ist auch dieser Erklärungsansatz nicht frei von Spekulationen, solange nicht weitere Indizien hinzukommen. Die zeitliche Verlagerung von Phänomenen der „Krise“ (?) römischer Siedlungstraditionen in die Spätantike entbindet indessen nicht davon, nach adäquaten Erklärungen für den kulturellen Wandel zu suchen, der sich in der Gesamtentwicklung spiegelt.

In der Zusammenschau der Beiträge wäre von den Herausgebern doch auf eine Vielzahl von Ergebnissen hinzuweisen gewesen, die von übergreifender Relevanz erscheinen: 1) Ein Schrumpfungsprozess innerhalb von Städten und vici, dem eine deutliche Reduktion in der Anzahl ländlicher Einzelsiedlungen entspricht; dieser Prozess, der mit einer nachlassenden öffentlichen Bautätigkeit einhergeht, setzt vielerorts schon im 2. Jh. n.Chr. ein, erfährt in nachseverischer Zeit aber nochmals eine deutliche Verschärfung. Großen Städten und großen Villen residentiellen Charakters ist oft ein längeres Leben beschieden, das deutlich über das 3. Jh. n.Chr. hinausreichen kann. Ökonomische Ursachen drängen sich in diesem Zusammenhang auf. 2) Eine Häufung von traumatischen Zerstörungen (meist durch Brände, die nicht unbedingt von Invasoren gelegt worden sein müssen!) wie von Hortfunden in nachseverischer Zeit und in der 2. Hälfte des 3. Jhs. n.Chr. 3) Eine erste Welle von neuen Befestigungswerken und gesteigerter Militärpräsenz in den grenznahen Regionen gegen Ende des 3. Jhs. n.Chr., mancherorts gepaart mit Indizien für die Migration ehemaliger Siedler (z.B. hilltop settlements). 4) Der Beginn langfristiger Veränderungen in der Bau- und Produktionsweise sowie in den Bestattungsbräuchen im Verlauf der nachseverischen Zeit; usw.

Derlei Beobachtungen sind allerdings überhaupt nicht neu3 und gelten in vielfältiger Weise sogar für die Hauptstadt des Imperium Romanum selbst.4 Es drängt sich daher schon die Frage auf, ob Tagungen gegenwärtig ein passendes Format darstellen, um der Komplexität des hier adressierten Phänomens gerecht zu werden; und zwar nicht nur auf der Ebene der Siedlungsarchäologie, sondern weit darüber hinaus. Wenn etwa Patrick Marko feststellt, dass sich von den 920 in der Lupa-Datenbank verzeichneten Steindenkmälern aus der Steiermark nur ein einziges sicher in nachseverische Zeit datieren lässt, dann verdient dieser Aspekt gewiss eine Vertiefung, die auch andere Bereiche der Bild- und Textproduktion in den Blick zu nehmen hätte.5 Die „Krise des 3. Jahrhunderts“ böte m.E. ein lohnendes Betätigungsfeld für Clusterforschung unter gezielten Fragestellungen. In der hier neuerlich dem Zufallsprinzip überlassenen Zusammenstellung von Daten unterschiedlichster Qualität und Provenienz ist jedenfalls keine weiterführende Perspektive für die Zukunft zu erkennen.

Anmerkungen:
1 Karl Strobel, Das Imperium Romanum im „3. Jahrhundert“. Modell einer historischen Krise? Zur Frage mentaler Strukturen breiterer Bevölkerungsschichten in der Zeit von Marc Aurel bis zum Ausgang des 3. Jh. n.Chr., Stuttgart 1993.
2 Immer noch hilfreich der Überblick bei Klaus-Peter Johne / Udo Hartmann, Krise und Transformation des Reiches im 3. Jahrhundert, in: Klaus-Peter Johne (Hrsg.), Die Zeit der Soldatenkaiser. Krise und Transformation des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert n.Chr. (235–284), Berlin 2008, Bd. II, S. 1025–1053. bes. S. 1031f.
3 Zu ähnlichen Ergebnissen gelangen z.B. schon Regula Schatzmann / Stefanie Martin-Kilcher (Hrsg.), L’Empire romain en mutation. Répercussions sur les villes dans la deuxième moitié du IIIe siècle, Int. Koll. Bern/Augst (Schweiz), 3.–5. Dezember 2009, Montagnac 2011.
4 Siehe z.B. Philippe Pergola u.a. (Hrsg.), Suburbium. Il suburbio di Roma dalla crisi del sistema delle ville a Gregorio Magno, Koll. Rom, 16.–18. März 2000, Rom 2003.
5 Klaus Fittschen hat schon früh gesehen, dass die „Krise“ im ursprünglichen Wortsinn der „Entscheidung“ um die Mitte des 3. Jhs. n.Chr. innerhalb der Kunst eine Reihe von wegweisenden Veränderungen ausgelöst hat: Klaus Fittschen, Die Krise des 3. Jahrhunderts n.Chr. im Spiegel der Kunst, in: Geza Alföldy (Hrsg.), Krisen in der Antike. Bewußtsein und Bewältigung, Düsseldorf 1975, S. 133–144.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension